Julia!
Ich finde,
diese Geschichte hat Stärken und Schwächen.
Ich mag zum Beispiel Sätze wie
„Die Sonne beschien die Stadtmauer mit ihren Türmen, als sich die Bahn mühsam die kleine Anhöhe zum Schloss hinaufschleppte“.
Der Anfang ist etwas verwirrend, weil er noch vor den ersten Sätzen handelt, ohne dass das durch das Tempus erklärt würde. Nachdem man verstanden hat, dass du die ersten Sätze nicht als eigentlichen Anfang verwendest, sondern als eine Vorschau, ist es in Ordnung. Allerdings fehlt mir angesichts des erzählerischen Ansatzes eine Vorstellung der Charaktere. Denn durch die Dialoge stellen sie sich nicht ausreichend vor. Das führt in diesem Fall dazu, dass ich mich weniger für sie interessiere.
Den Erzählstil finde ich im Folgenden ok und auf eine angenehme Art gelassen. Den Übergang zwischen dem Ende des ersten Tages und dem dann folgenden Abschnitt finde ich zu hart. Das Wort „allmählich“ ist als Einläutung eines so deutlichen Wechsels der Erzählgeschwindigkeit aus meiner Sicht zu schwach, ein ganzer Satz passte hier eher.
Den Stil finde ich dann wieder gut, den ganzen Abschnitt hindurch. Aber wieder ist der Übergang (von der Party zum nächsten Tag) holprig: „…beobachteten die anderen beiden aufmerksam Franz‘ unbeholfene Tanzversuche und die zunehmende Ausgelassenheit der Doktoren in der Ecke.“ Finde ich als Abschnittsende etwas komisch.
Danach geht es ähnlich weiter. Hier und da finde ich die Wortwahl sehr schön, manchmal aber auch unglücklich. Ein gutes Beispiel ist der folgende Satz:
„Georg rückte deswegen von seinem Plan ab, ihr sein Verhalten zu erklären, und fragte sie stattdessen, ob sie am Wochenende mit ihm in die Stadt gehen wollen würde“ Der Anfang ist schön, das Ende ist eine verkorkste indirekte Rede. („wollen würde“ anstatt „wolle“).
Das natürliche Ende ist für mich vor dem letzten Abschnitt. Der letzte Abschnitt ist überladen und vor allem das vollkommende Gegenteil etwa zum Anfang. Ganze Jahre werden in wenigen Sätzen geschildert, während zuvor Eindrücke sehr detailliert widergegeben werden.
Insgesamt finde ich, dass die Geschichte starke Elemente hat. Das sind vor allem einzelne schöne Sätze und das offensichtlich absichtlich etwas Hölzerne, das zur Epoche passt (erinnert mich an den Zauberberg) sowie die Ideen an sich. Schwach finde ich die Charaktere und die sehr schwankenden Erzählgeschwindigkeiten. Die Gewichtung der Dinge, die du erwähnst, ist schwer nachzuvollziehen. In einer so kurzen Geschichte, in der ein Weltkrieg explizit vorkommt, geht beispielsweise ein Praktikum als Abenteuer kaum durch. Dafür müsste eine gewisse Melancholie (nämlich, dass etwas so Unschuldiges kurz vor einem weltverändernden Chaos als Abenteuer empfunden wird), die du durchaus andeutest, stärker betont werden. Dass der eine Protagonist sich in eine Frau verliebt, bekomme ich nicht recht mit. Davon könnte angesichts der Bedeutung sicher eher ausführlich berichtet werden als etwa von der Gepäckverstauung. Ich glaube, dass die Geschichte für die Geschwindigkeit viel länger sein müsste. Oder dichter erzählt. Für mich ist die Geschichte so etwas wie ein netter Rohling einer schönen Gesamtidee.
Alles in allem gibt's von mir